Alle sechs Jahre verwandelt sich das Passionsspielhaus in Erl in eine Bühne des Glaubens – 2025 mit einer Neuinszenierung unter der Regie von Martin Leutgeb. Über 600 Mitwirkende, darunter Berufstätige, Schüler:innen, Pensionist:innen und ganze Familien, erzählen die letzten Tage im Leben Jesu – von seiner Geburt bis zur Auferstehung.
Die Passionsspiele Erl 2025 finden von Mai bis Oktober an 32 Spieltagen statt. Die Hauptrollen sind doppelt besetzt – acht zentrale Figuren, darunter Jesus, Petrus und Maria Magdalena, werden von zwei Teams interpretiert: Team Weiß und Team Schwarz. Der „weiße Jesus“, Stefan Pfisterer, eröffnet die Premiere. Christoph Esterl, der „schwarze Jesus“, spielt die Dernière. Damit unterstreichen die Organisatoren:innen nicht nur die Gleichwertigkeit beider Besetzungen, sondern bieten dem Publikum auch zwei einzigartige Perspektiven auf dieselbe Geschichte.
Verantwortlich für die künstlerische Leitung sind:
- Martin Leutgeb, Regie
- Peter Esterl, Spielleitung
- Christian Kolonovits, Komposition
- Toni Pfisterer, musikalische Leitung
- Hartmut Schörghofer, Bühnenbild
- Juliane Herold, Kostümbild
Eine Woche vor der Premiere
Wenige Tage vor der Premiere ist Erl im Ausnahmezustand. In den Probenräumen, auf der Bühne und in der Kantine ist die Anspannung spürbar. Die Texte sitzen längst – und doch kochen die Emotionen hoch. Denn was hier entsteht, ist mehr als Theater: Es ist Teil des eigenen Lebens, der eigenen Familie, der eigenen Geschichte.
Aktuell dreht sich alles um das große gemeinsame Projekt. Die Nervosität steigt: Ob junges Kind oder erfahrener Pharisäer – die Aufregung vor dem ersten Auftritt verbindet alle. In den Gängen spricht man in Passionssätzen, man begegnet sich mit Humor, Respekt und gegenseitiger Unterstützung. Der Glaube wird in Erl nicht nur dargestellt – er wird gelebt.
„Was macht die Passion in Erl so besonders? Ich denke, dass es neben der großartigen Gemeinschaft, die wir zusammen haben, vor allem die Veränderung ist. Erl erfindet sich immer wieder neu“, bringt Spielleiter Peter Esterl den Erler Geist im Rahmen der Pressekonferenz am 16. Mai 2025 auf den Punkt. Besonderen Dank richtet Peter Esterl an das Herz der aktuellen Produktion: „Martin Leutgeb ist ein absoluter Glücksfall für uns Erler. Mit seiner ruhigen, lockeren und doch sehr bestimmten Art hat er es geschafft, das Feuer für 2025 wieder zu entfachen.“
Regiearbeit mit Herz und Haltung
„Bevor ich professionell für das Theater tätig geworden bin, war ich ein Kind, das sich hinter dem Vorhang versteckt und jedem, der uns besucht hat, Theater vorgespielt hat. Jetzt bin ich ein Profi – und weiß, was es bedeutet, mit Profis zu arbeiten. Das ist etwas ganz, ganz Großartiges. Das alles wäre mir allein gar nicht eingefallen“, bleibt Martin Leutgeb bescheiden. Der Regisseur, selbst Schauspieler und tief im Volkstheater verwurzelt, nähert sich der Passionsgeschichte nicht dogmatisch, sondern menschlich. Er stellt nicht den religiösen Absolutheitsanspruch in den Vordergrund, sondern offene Fragen.
„Ist er es – oder ist er es nicht?“ Diese Überlegung zieht sich durch seine Inszenierung. Jesus erscheint als Mensch, als Teil der Gemeinschaft – nicht als unantastbare Erlöserfigur, sondern als Suchender. Leutgeb fordert seine Laiendarsteller:innen, lässt sie aber auch wachsen. Jede Rolle darf sich entwickeln, darf individuell sein. Das Ergebnis ist eine Inszenierung, die begeistern soll – authentisch, berührend, zeitgemäß. „Wir haben ein Ensemble da, das sich wirklich sehen lassen kann. Was die Leute jetzt zur Premiere erwartet, das ist ganz großes Theater. Jetzt bin ich gerührt“, erklärt Leutgeb – sichtlich bewegt. Bei der Pressekonferenz wurde den anwesenden Journalist:innen ein erstes Hörbeispiel präsentiert, das die emotionale Wucht und künstlerische Tiefe erahnen lässt.
Musik, die unter die Haut geht
Für den musikalischen Rahmen der Passion 2025 zeichnet ein außergewöhnliches Duo verantwortlich: Der international bekannte Komponist Christian Kolonovits und der Erler Musiker Toni Pfisterer. Gemeinsam entwickelten sie ein Werk, das zwischen sinfonischer Dramatik und moderner Klangwelt oszilliert – episch, emotional, eindringlich. Kolonovits verwebt eigene Kindheitserinnerungen mit neuen musikalischen Wegen: klassische Orgelklänge, Blasmusik, elektronische Verstärkung und chorale Höhepunkte verschmelzen zu einer Partitur, die die Passionsgeschichte fühlbar macht.
„Ich habe mir zur Einstimmung die Bibelverfilmungen aus den 60er- und 70er-Jahren angesehen. Das war für mich ein Anhaltspunkt, die Musik cinemaskopisch zu denken und eine zweite Ebene zu schaffen. Diese zweite Ebene folgt dem Buch sehr genau, erzählt aber gleichzeitig emotional und atmosphärisch mit. Ich habe in langen, wirkungsvollen Passagen gedacht, mit starkem Fokus auf die Botschaft – das war mir besonders wichtig“, beschreibt Kolonovits seinen Zugang zur Komposition.
Das Orchester besteht aus 25 Musiker:innen – knapp 45 Personen zumeist aus Erl spielen in wechselnder Besetzung. Unterstützt werden sie von einem 50-köpfigen Chor. Toni Pfisterer als musikalischer Leiter formt ein Ensemble, das weit über seine technische Leistung hinaus strahlt.
„Die Umsetzung durch Toni Pfisterer und das gesamte Musiker:innen-Team war beeindruckend. Ich bin sehr dankbar dafür, wie in Erl mit Kunst und Kultur umgegangen wird. Hier gibt es ein lebendiges Miteinander – das habe ich in dieser Form noch nie erlebt. Umso schöner ist es, dass die Musik nun so berührend zur Geltung kommt“, freut sich Kolonovits wenige Tage vor dem großen Auftakt.
Ein Bühnenbild zwischen Himmel und Erde
Herzstück der visuellen Umsetzung ist das Bühnenbild von Hartmut Schörghofer – eine monumentale weiße Treppe, flankiert von einem zersplitterten Berg. Die Treppe verbindet Himmel und Erde, Anfang und Ende, Hoffnung und Zweifel. Sie überbaut die bestehende Bühnenstruktur, verändert Perspektiven und eröffnet neue Blickachsen. „Warum eine Treppe ohne Anfang und ohne Ende? Das ist eine Geschichte der Unendlichkeit. Eine Geschichte, die nie zu Ende erzählt sein wird“, erklärt Bühnenbildner Hartmut Schörghofer.
Der Berg – roh, kantig, durchlässig – steht für die Zerrissenheit der Welt. Durch Öffnungen in seiner Struktur werden Rückblenden möglich, ein szenischer Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Licht, Nebel und Projektionen sorgen für magisch-realistische Effekte. Die Arbeit in Erl hat auch den Szenenbildner tief bewegt: „Die Erfahrungen mit dem Ort waren sehr berührend. Jeder muss hier freiwillig seine Aufgaben erfüllen. Das war eine großartige Begegnung.“
Weitere Informationen & Tickets unter: http://www.passionsspiele.at
Bildnachweis: Xiomara Bender