Gürtelrose: Die „schlafende“ Gefahr

Jährlich erkranken italienweit etwa 150.000 Menschen an Herpes Zoster, gemeinhin als Gürtelrose bekannt. Das Varizella-Virus, das in der Kindheit Windpocken verursacht, verbleibt im Körper in einem „schlafenden“ Zustand. Erst wenn das Immunsystem geschwächt wird (z.B. durch das Alter oder durch belastende Faktoren wie etwa eine Chemotherapie), kann das Virus „aufgeweckt“ werden. Das Risiko ist vor allem bei Über-50-Jährigen erhöht, ebenso bei anhaltendem Stress oder bei chronischen Erkrankungen. Dr. Giuliano Piccoliori, Hausarzt und Wissenschaftlicher Leiter des
Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen, betont, dass die Impfung das einzige wirksame Mittel zur Vorbeugung der Krankheit ist.
In den vergangenen 10 bis 15 Jahren wurde in Italien ein besorgniserregender Anstieg der Herpes Zoster-Fälle verzeichnet. „Schätzungen zufolge erkranken jedes Jahr rund 150.000 Personen an dieser Krankheit. Sie äußert sich durch schmerzhafte Hautausschläge und – in vielen Fällen
durch Komplikationen, die die Lebensqualität der Betroffenen langfristig stark beeinträchtigen können. Die Gürtelrose ähnelt einer tickenden Zeitbombe“, erklärt Dr. Giuliano Piccoliori, Allgemeinmediziner und Wissenschaftlicher Leiter des Südtiroler Instituts für Allgemeinmedizin und
Public Health. Die meisten Menschen, die an Gürtelrose erkranken, hatten in ihrer Kindheit (oder selten zu einem späteren Zeitpunkt) Windpocken, landläufig auch als „Schafblattern“ bekannt.
Mehr als 90% der Über-50-Jährigen sind bereits mit dem Virus in Kontakt gekommen und setzen sich somit einer möglichen späteren Reaktivierung aus. Das Varizella-Zoster-Virus ist sowohl für Windpocken als auch für Gürtelrose verantwortlich. Nach einer Infektion verbleibt es in den Nervenganglien und verharrt dort über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg in einem Ruhezustand. Normalerweise wird das Virus vom Immunsystem mit Hilfe spezialisierter Abwehrzellen in Schach gehalten. Mit zunehmendem Alter oder nach medizinischen Behandlungen wie einer Chemo- oder Immuntherapie kann die Immunabwehr jedoch geschwächt werden, wodurch das „schlafende“ Virus gleichsam „aufgeweckt“ wird. Dies führt zum typischen Hautausschlag. Piccoliori erklärt: „Wer als Kind nie an Windpocken erkrankt ist, kann keine Gürtelrose bekommen, da das Virus nie im Körper vorhanden war.“ Zudem erhöhen Faktoren wie ein Alter über 50, anhaltender Stress, die Einnahme bestimmter Medikamente und
chronische Erkrankungen das Risiko einer Reaktivierung.
Eine Gürtelrose beginnt häufig mit einem allgemeinen Krankheitsgefühl und lokalen Schmerzen, die als Vorboten des Hautausschlags auftreten. In der Folge bilden sich kleine rötliche Bläschen, die stark an Herpesbläschen an den Lippen erinnern. Diese Bläschengruppen treten typischer
weise nur auf einer Körperseite auf und folgen dem Verlauf eines Nervs. Das verleiht ihnen das gürtelförmige Erscheinungsbild – daher die Bezeichnung „Gürtelrose“ (griechisch ζωστήρ / zōstḗr = Gürtel). Diese Läsionen sind oft mit starkem Juckreiz und einem brennenden Gefühl verbunden.
„Breiten sich die Schmerzen über das betroffene Hautareal hinaus aus, kann es zu möglichen Komplikationen kommen“, warnt Dr. Giuliano Piccoliori. Zu den schwersten Komplikationen zählt die schmerzhafte Post-Zoster-Neuralgie, eine der belastendsten Folgen der Erkrankung. „Bei etwa 10% der Fälle – vor allem bei Patient:innen über 40 – halten die Schmerzen noch Monate oder Jahre nach dem Abheilen der Bläschen an. Die medikamentöse Behandlung gestaltet sich oft schwierig und die Lebensqualität leidet erheblich“, erläutert Giuliano Piccoliori. Schwerwiegende
Komplikationen sind der Zoster Oticus, der das Gehör beeinträchtigen kann, sowie der Zoster Ophthalmicus, der in bestimmten Fällen die Sehkraft gefährden und eine dringende Behandlung im Krankenhaus erforderlich machen kann. „Die Gürtelrose ist nur durch den Bläscheninhalt
ansteckend und nur für jene Personen gefährlich, die nie Windpocken hatten. Sind die Läsionen verkrustet, besteht keine Ansteckungsgefahr mehr“, versichert Dr. Piccoliori.
Das Risiko für Gürtelrose steigt mit dem Alter und einer fortschreitenden Schwächung des Immunsystems erheblich an. Ab dem 50. Lebensjahr gerät das empfindliche Gleichgewicht, welches das Virus in seinem „schlummernden“ Zustand hält, ins Wanken, wodurch das Auftreten der Krankheit
zunehmend wahrscheinlicher wird. Die Einnahme bestimmter Medikamente – vor allem solcher, die in der Krebstherapie oder Rheumabehandlung eingesetzt werden – kann die natürlichen Abwehrmechanismen des Körpers zusätzlich beeinträchtigen. „Auch chronische Leiden – darunter z.B. Diabetes, Lungenerkrankungen oder eine HIV-Infektion – machen bestimmte Personen ausgesprochen anfällig“, sagt der Wissenschaftliche Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin.
Bis vor wenigen Jahren war der abgeschwächte Lebend-Impfstoff Zostavax die einzige verfügbare Option. Er wurde vorrangig Menschen über 64 Jahren oder ab 50 Jahren mit besonderen Risikofaktoren empfohlen. „Heute ermöglicht der Impfstoff Shingrix – ein künstlich hergestellter
Impfstoff mit einem Zusatzstoff, der das Immunsystem stärker aktiviert – einen besseren und länger anhaltenden Schutz. Dieser Impfstoff wird nicht nur älteren Menschen empfohlen, sondern auch jüngeren Erwachsenen ab 18 Jahren, wenn sie ein geschwächtes Immunsystem aufweisen,
immunsuppressive Medikamente einnehmen, an chronischem Nierenversagen mit Dialysebedarf leiden oder unter wiederkehrenden oder sehr schweren Formen von Gürtelrose leiden“, bekräftigt Dr. Piccoliori. Die Impfungen werden von den Hygienediensten aller Südtiroler Gesundheitsbezirke sowie von einigen Allgemeinmediziner:innen angeboten. Für jene, die zwischen 1952 und 1960 geboren wurden, sowie für Menschen mit chronischen Erkrankungen sind sie kostenlos.
Die Allgemeinmediziner:innen spielen eine entscheidende Rolle bei der Erkennung, Behandlung und Vorbeugung von Gürtelrose. Sie sind die ersten Ansprechpartner für Patient:innen, können deren Gesundheitszustand kontinuierlich überwachen sowie Risikofaktoren frühzeitig erkennen.
„Dank des Vertrauensverhältnisses, das zwischen Ärztin/Arzt und Patient:in besteht, können Allgemeinmediziner:innen klare und fundierte Informationen bereitstellen und rechtzeitig die besten Präventionsstrategien – darunter die Impfung – empfehlen“, so Dr. Piccoliori. „In einer Zeit, in der unser Immunsystem durch medizinische Behandlungen, Stress und verschiedene psychosoziale Faktoren zusätzlich belastet wird, ist Prävention ein Gebot der Verantwortung. Sie bleibt die wirkungsvollste Waffe gegen einen schlummernden, aber gefährlichen Feind“, schließt Piccoliori.

Im Bild: Dr. Giuliano Piccoliori © Institut für Allgemeinmedizin Bozen