Nachruf „Der große Grass“

Mit dem Tod des 1927 in Danzig geborenen Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass kommt eine ganze Epoche an ihr Ende. Und doch: Vieles, was sich dem literarischen Werk und der gesellschaftlichen Wirkung dieses Autors verdankt, wird bleiben. Günter Grass war unser Nationaldichter, so man darunter denn keine Figur von marmorglatter Blässe versteht.

Günter Grass war einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller und Inbegriff des engagierten Autors. Sein Werk entblättert die Schichten unserer Vergangenheit.Die Blechtrommel wurde der Schelmen- u. Epochenroman, der vielleicht am prägnantesten das in sich barg, was man Nachkriegsliteratur genannt hat. Das Anknüpfen an die literarischen Strömungen der Vor-Nazi-Zeit, bei Grass insbesondere die Verehrung für Alfred Döblin, die Öffnung hin zu avancierter fremdsprachiger Literatur und die Vertreibung der Geister des Dritten Reichs. Ebenso wie sein Debüt waren auch die Hundejahre (1963) als Teil der Danziger Trilogie eine ästhetische Auseinandersetzung mit der Moderne und der Hitler-Diktatur.Er stiftete einen Literaturpreis und engagierte sich vielfältig als Mäzen. Er mühte sich, das Handwerk des Schreibens an Jüngere weiterzugeben und beharrte auf handwerklicher Qualität. Er schrieb bis zum Schluss mit der Hand und der mechanischen Schreibmaschine, voller Misstrauen gegen die digitale Mutation von Sprache zur Textmasse.
Altersweise und alterswütend nannte er Facebook und andere “soziale” Netzwerke “Scheißdreck”. Wie schon gesagt: Er war ein Bürger aus dem Bilderbuch, traditionsbewusst, stolz und eigensinnig. Als Bürgerschreck konnte er nur jenen erscheinen, die sich ihrer Bürgerlichkeit nicht sicher sind.

In den letzten zehn Jahren seines Leben war Günter Grass das, was er auch zuvor immer schon nebenbei angepeilt hatte: ein Dauerumstrittener. Seit seiner späten Offenbarung im Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ (2006), mit 17 als Wehrmachtsfreiwilliger zur Waffen-SS eingezogen worden zu sein, wurde seine politische Umtriebigkeit, die sich schon in den 1960er Jahren mit den Wahlkämpfen für Willy Brandt voll ausformte, eine erst bekämpfte, mit zunehmendem Alter eher belächelte gesellschaftliche Last.Sein Gedicht „Wie gesagt werden muss“, in dem er vor drei Jahren in leitartiklerischer Schärfe mit Israel als Atommacht ins Gericht ging, war seine letzte provokant kontroverse Intervention, hochproblematisch auch, weil die Israelkritik ausgerechnet von einem Ex-Mitglied der Waffen-SS kam, mag Grass damals, 1944, auch noch so jung gewesen sein.

Der Stuhl bleibt nun leer“. Eine politische Stimme in Deutschland wird fehlen.