Von der Mussolini-Pilgerstätte zum antifaschistischen Gedenkort

Predappio ist eine unauffällige Kleinstadt zwischen Bologna und Rimini, in einer lieblichen Hügellandschaft aus Wäldern und Weinbergen in der Emilia-Romagna gelegen. Am Ortseingang grüßt ein Schild: „Willkommen in der Heimat des Sangiovese-Weins“. Ein unbedarfter Reisender würde sich vielleicht wundern, dass sich an der Hauptstraße so viele zweistöckige Gebäude aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren reihen, im typischen Baustil des Faschismus. Aber er würde vermutlich nicht gleich auf die Idee kommen, dass Predappio der Geburts- und Begräbnisort des italienischen Diktators Benito Mussolini ist. Es gibt nur ein verstecktes Hinweisschild auf das Geburtshaus. Auffällig sind indes die vier oder fünf „Andenken“-Geschäfte, die mit Trikoloren und faschistischen Adlern werben, und in deren Vitrinen einem das glatzköpfige Konterfei Mussolinis in allen Größen entgegenstiert.
Nein, für Italienreisende gibt es keinen Grund für einen Zwischenstopp in Predappio. Trotzdem kennt fast jeder Italiener diesen Ort zwischen Florenz und Ravenna; der Grund dafür kam am 29. Juli 1883 als Sohn eines Schmiedes und der Dorfschullehrerin zur Welt: Benito Amilcare Andrea Mussolini, Faschist, Kriegstreiber, Despot. Und vor allen Dingen Idol, so berichtete der Spiegel.
Von 1922 bis 1943 regierte Benito Mussolini Italien. Seine Schlägertrupps terrorisierten und ermordeten politische Gegner, er indoktrinierte ein ganzes Volk. Mussolini wollte aus Italien ein Kolonialimperium machen. 1936 proklamierte er die Achse Berlin-Rom, 1938 führte er Rassengesetze ein, 1940 trat Italien an der Seite der Deutschen in den Krieg ein. Mussolini löste wie Hitler eine Masseneuphorie aus.

Auch nach Mussolinis Ermordung durch italienische Partisanen beharren Millionen Italiener auf dem Zerrbild vom tadellosen Diktator, unter dessen straffer Führung das Land seine größte Blüte erlebte. Auch in Predappio ist die Zahl der “Duce”-Fans groß, die Faschismus-Souvenirhändler dort lassen auch mal Sätze fallen wie „Hitler war ein Verbrecher, aber Mussolini war ein Ehrenmann“, so der Spiegel.

Das bemerkenswerte Treiben in Predappio belegt die Geschichtsvergessenheit erschreckend vieler Italiener. Deportationen, Geiselerschießungen, Konzentrationslager? Nahezu unbekannt. Überfälle auf Albanien und Griechenland, Giftgasangriffe in Äthiopien, Krieg an Hitlers Seite in Frankreich, Spanien, Russland? Vergessen oder verdrängt. Verantwortlich für diese Verbrechen ist Benito Mussolini, doch seit dessen Gebeine zwölf Jahre nach Kriegsende hier ankamen, ist das Städtchen erst recht zum faschistischen Wallfahrtsort aufgestiegen.
So ziehen jedes Jahr Zigtausende Ewiggestrige in das Örtchen, sie bringen ihre Hakenkreuzfahnen mit, recken auf Straßen und Plätzen den rechten Arm, salutieren vor dem Geburtsort Mussolinis. Was skandalös klingt, ist in Italien Alltag: Wie kann das sein, mitten im Nachkriegseuropa, in einem Gründungsland der Europäischen Union? Dabei reicht im Grunde schon ein Blick in die Auslagen der Devotionalienläden, um zu verstehen, was in Predappio vor sich geht. Hitler -Gemälde, Mussolini-Büsken und unzweideutige Flaggen finden in großen Mengen Abnehmer. Darauf zu sehen sind immer wieder die fasces, stilisierte Getreidebündel mit einem Beil an der Seite – das Symbol für die faschistische Diktatur, die Italien zwischen 1922 und 1943 prägte.

Claudia von Dzerzawa

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