Vor 125 Jahren wurde der Satiriker Kurt Tucholsky geboren. Der Terroranschlag in Paris gibt seinen Gedanken zu dieser Kunstform eine neue Aktualität. Der berühmteste: “Was darf Satire? Alles!”

Was er wohl gesagt hätte? Was er geschrieben oder wie manche heute mutmaßen: gebloggt hätte nach diesem rabenschwarzen Mittwoch, dem 7. Januar 2015? Kurt Tucholsky wäre sich doch wohl treu geblieben, so entlarvend, so scharfsinnig und so radikal wie gewohnt? Unvorstellbar, dass der Journalist und Schriftsteller, der heute auf den Tag vor 125 Jahren auf die Welt kam, seinen berühmtesten Aphorismus relativiert hätte: “Was darf Satire? Alles!”

Der Terroranschlag von Paris hat eine Debatte über Satire als Mittel des politischen Diskurs ausgelöst.

Im Jahr 1795 schreibt Schiller: “In der Satire wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt.” Noch kämpferischer formuliert Tucholsky: “Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.” Also: Satire ist in erster Linie gegen etwas gerichtet, und zwar gegen eine als fehlerhaft und schlecht empfundene Wirklichkeit in Form von Personen, Institutionen und Geisteshaltungen. Diese werden kritisch mit einem Ideal verglichen, dem sie nicht entsprechen.

Darf Satire nun alles? Im Prinzip ja. Natürlich darf sich ein Satiremagazin in einer freiheitlichen Gesellschaft über jedes Thema und jede Gruppe lustig machen oder deren Agenda auch in überspitzter Form kritisieren.

Die entscheidende Frage, und dies wird in den Medien völlig ausgeblendet, ist also nicht, was Satire darf, sondern, ob es überhaupt noch Satire ist, was die mutmaßlichen Täter letztlich zu ihrem Verbrechen getrieben hat. Die westlichen Medien, die sich jetzt scheinheilig vor “Charlie Hebdo” stellen und in heuchlerischer Weise die angebliche Meinungsfreiheit verteidigen, behaupten, es sei Satire, was dort gegen den Islam vorgebracht wurde und es sei deshalb legitim, schließlich würden auch andere Religionen karikiert und müssten sich damit abfinden.

Tatsächlich hat aber das, was in den vergangenen Jahren über den Islam berichtet wurde, nichts mehr mit Satire zu tun und es ist hier schon allein die Menge, die den Unterschied macht.

Ein täglicher Schluck Wasser ist lebensnotwendig, ein Übermaß ist lebensbedrohlich und zu viel Wasser ist tödlich. Das gilt gleichermaßen für Satire. In kleinen Dosen und selbst eingenommen ist sie Inspiration und für die Selbstreflektion einer Gesellschaft notwendig, aber in größeren Dosen und großflächig verabreicht, ohne dass man sich ihr entziehen könnte, wirkt sie volksverhetzend und letztlich tödlich.

Für eine Tat wie in Paris muss erst der Nährboden bereitet werden und dieser liegt eben nicht in den Glaubenssätzen einer Religion, deren Mitglieder in überwältigender Mehrheit friedlich mit ihren Nachbarn leben, sondern in einem gesellschaftlichen Umfeld, das Menschen wegen ihrer Herkunft oder Religion ausgrenzt und ihnen den nicht unberechtigten Eindruck vermittelt, sich nicht anders, als durch Gewalt, Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen zu können.

Satire darf alles – aber sie darf nicht zur Volksverhetzung missbraucht werden.

Im Bild: Pocci Ritter – Lustige Gesellschaft

Claudia von Dzerzawa

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Claudia von Dzerzawa

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