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Der Farbenrausch im Innenleben der Natur4 min read

29 Agosto 2013 3 min read

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Der Farbenrausch im Innenleben der Natur4 min read

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Auch in seinem aktuellen Projekt lüftet der Innsbrucker Künstler Winfried Platzgummer eine weitere mystische Facette des Mikrokosmos. Hinter den vermeintlich ‘abstrakten’ Farb- und Strukturkompositionen, die er unter dem Titel ‘Ars Crystallographica’ vom 3. bis 15. September im artroom21 in der Gutenbergstraße 3 dem Innsbrucker Publikum präsentieren wird, verbergen sich in Wirklichkeit die kristallinen Strukturen von Arzneistoffen und chemischen Substanzen. 

Wer Winfried Platzgummers künstlerischen Werdegang verfolgt, wird unwillkürlich an jenen berühmten Satz der legendären antiken Tabula smaragdina erinnert, der bereits ebenso kühn wie spekulativ den strukturellen Zusammenhang zwischen Mikro- und Makrokosmos als Faktum postulierte, gleichwohl erst die Wissenschaft des 20./21. Jahrhunderts dies mit ihren High-Tech-Mitteln von Elektronenmikroskop bis hin zu Gammateleskop und den hierbei aufgenommenen Bildern bestätigen sollte. Das, was unten ist, ist wie das, was oben ist, und das, was oben ist, ist wie das, was unten ist, ein ewig dauerndes Wunder des Einen. 
Winfried Platzgummer hat sich in den letzten zwanzig Jahren seines künstlerischen Schaffens vor allem dem ebenso faszinierenden wie schillernden Mikrokosmos unserer Natur zugewandt: nach der intensiven Beschäftigung mit den Strukturen und Farbverläufen von biologischem Gewebe (‘Ars Histologica’), mit der Gestalt und den Wachstumsformen von Organismen und Organen (‘Ars Morphologica’) ist er auf seiner ‘künstlerischen Reise in die Architektur der Natur’ nunmehr in der Wunderwelt der kristallinen Strukturen angelangt, die sich unter dem Polarisationsmikroskop in synthetischen und organischen chemischen Substanzen manifestieren. Folgerichtig hat er sein jüngstes Projekt ‘Ars Crystallographica’ genannt. 
Wie schon bei den vorhergehenden Projekten suchte Winfried Platzgummer bei ‘Ars Crystallographica’ zunächst den Kontakt zur Wissenschaft und fand schließlich in Prof. Ulrich Griesser am Institut für Pharmazie der Universität Innsbruck erneut einen kongenialen Sparringpartner. Denn Griesser leitet eine Forschungsgruppe, die sich auf die Festkörper- und Kristalleigenschaften von Arzneistoffen spezialisiert hat. Die Bildvorlagen für Winfried Platzgummers ‘Ars Crystallographica’-Objekte sind somit durchwegs mikroskopische Aufnahmen, die in der täglichen Arbeit von Griessers Forschungsteam entstanden sind. Platzgummer selbst übersetzt diesen Farben- und Formenrausch, den der Mikrokosmos der Natur beim Durchgang von polarisiertem Licht durch eben diese kristallinen Stoffe offenbart, wie üblich in eindrucksvolle Kunstwerke, welche er in einem überaus aufwändigen Siebdruckverfahren (mit bis zu 14 aufeinandergedruckten Farbschichten) herstellt. Sehr gerne verwandelt Platzgummer seine Siebdruckbilder dabei in Lichtobjekte, zumal sich die eigentümlichen morphologischen Strukturen ja auch erst im Lichte von Mikroskop und Wissenschaft dem forschenden und beobachtenden Auge zu zeigen pflegen. Unter Platzgummers künstlerischem Auge und seiner Expertise als Kunstsiebdrucker verwandeln sich diese Vorlagen freilich in ebenso dramatische wie poetische Lichtobjekte. 
Platzgummers ausgewiesener Sinn für kompositorische Dramaturgie ist dabei zweifelsohne seinem aller-ersten künstlerischen Beruf geschuldet. Denn ehe sich Platzgummer ganz der bildenden Kunst zuwandte, war er für einige Jahre als Schauspieler tätig. Nach Lehr- und Wanderjahren als experimenteller Fotograf (u.a. in New York) studierte er schließlich Mitte der neunziger Jahre bei Arnulf Rainer an der Akademie der bildenden Künste in Wien, brach das Studium aber nach vier Jahren ab, um konsequent seinen eigenen künstlerischen Weg der ‘narrativen Abstraktion’ zu verfolgen. 
Abstraktiv und narrativ zugleich muten auch die Titel an, die er für seine ‘Ars Crystallographica’-Bilder findet: so nennen sich seine Farbstrukturobjekte beispielsweise ‘Blaue Federn’, ‘Tanzende Kristalle’, ‘Kristallfeuer’, aber auch ‘Mikrokosmische Abwehr’, ‘Schmerzlinderung’ und ‘Betäubung’. Dahinter verbergen sich etwas die kristallinen Muster von ‘Hippursäure’ (ein Stoff, der bei Entgiftungsprozessen entsteht), ‘Atromentin’ (ein Naturstoff, der von bestimmten Pilzen produziert wird), ‘Tebuconazol’ (ein Fungizid, das zur Behandlung von Pilzerkrankungen eingesetzt wird), ‘Pentamidin`(ein Chemotherapeutikum, das bei bei HIV-Patienten verwendet wird), ‘Phenazon’ (ein Schmerzmittel für Menschen wie Tiere), ‘Cyclopal’ (ein Barbitursäurederivat, das als Narkosemittel in der Veterinärmedizin Einsatz findet). Und so erzählt Platzgummers ‘Ars Crystallographica’ seinem Betrachter tatsächlich viele Geschichten: über das Innenleben der Natur, die Wege der Wissenschaften, über eine von allen Wirkungen losgelöste Ästhetik, die wiederum allen Strukturen anhaftet. Es sind Geschichten, die sich unvermittelt eröffnen und ebenso abrupt innehalten, weil sich die Geschichte des Kosmos, der sich Platzgummer in seiner Kunst zu nähern versucht, ohnehin nicht zu Ende erzählen lässt und wahrscheinlich deshalb um so mehr fesselt. 

Winfried Platzgummers ‘Ars Crystallographica’ wird am kommenden Dienstag, 3. September um 19 Uhr im artroom 21 eröffnet. Die Ausstellung ist dann bis einschließlich 15. September täglich von Montag bis Samstag, von 18 bis 21 Uhr geöffnet.