KUNST ODER PORNOGRAPHIE?

Eine Frage, die für den heutigen Betrachter nicht relevant sein dürfte, angesichts der Reizüberflutung von nackten Körpern in den Medien oder Porno-Zeitschriften.

Auf Initiative Kaiser Wilhelm II. wurde im Februar 1900 das Gesetz “Lex Heinze” verabschiedet. Ein umstrittenes Gesetz zur Bekämpfung der Unsittlichkeit, das die öffentliche Darstellung unsittlicher Handlungen in Kunstwerken, Literatur und Theater unter Berufung auf Artikel § 184 des Strafgesetzbuches zensieren sollte. Verwunderlich, da in der Kunstgeschichte die natürliche Nacktheit des Körpers in Skulptur und Malerei seit Jahrhunderten etabliert war. Man denke nur an antike Statuen, Michelangelos David oder die schwellenden, weiblichen Körperformen eines Peter Paul Rubens. Aufgrund des öffentlichen Protestes wurden dann allerdings im Mai die sogenannten Kunst- und Theaterparagraphen ersatzlos gestrichen. Gleichwohl legte das Kriminal Museum Hannover um 1900 das Album “Unsittliche Darstellungen” an.
Wie aber wurde der fotografische Akt in der nach außen hin prüden Gesellschaft des Kaiserreiches salonfähig?
Darstellungen des nackten Körpers erfreuten sich um die Jahrhundertwende großer Beliebtheit. Ob als erotisches Einzelbild verschämt unterm Ladentisch gekauft, als Postkarte gedruckt und verschickt, in Büchern und Zeitschriften veröffentlicht oder als galanter Kurzfilm mit leicht bekleideten Damen, der unverhüllte menschliche Körper entsprach dem öffentlichen Interesse und dem Modernen Zeitgeist. Dank preiswerter Herstellungs- und Reproduktionskosten stieg die Bildproduktion und entwickelte sich zu einem lukrativen Geschäft. Um die allgemeine Zensur zu unterlaufen und der Aktfotografie einen seriösen Touch zu geben, wurden – ganz im Dienste der Wissenschaft – ethnologische, medizinische, physiologische und anatomische Akte von Frauen und Männern hergestellt. Zudem entstanden Kinder- und Knabenakte in unschuldigen, verspielten Posen. Mit der Entwicklung der Chrono-Fotografie konnten Bewegungsabläufe von wohlproportionierten Damen sowie durchtrainierten Sportlern und Akrobaten, natürlich alle nackt, beim Gehen, Laufen, Speerwerfen, Turnen oder Ringen angefertigt werden. Ein Alibi für Nacktaufnahmen im Freien war der aufkommende Freikörperkult (FKK) und die Lebensreform-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts
Die Aktfotografie der sogenannten “guten alten Zeit” deckte somit das Spektrum menschlicher Neigungen ab; die Interessen von Lesben, Homosexuellen und Pädophilen wurden gleichermaßen bedient.

Lust und Laster lagen also dicht beieinander.