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„Mein Publikum muss nicht aus Kunstexpert*innen bestehen“. Ein Gespräch mit Günther Oberhollenzer

3 Giugno 2023

„Mein Publikum muss nicht aus Kunstexpert*innen bestehen“. Ein Gespräch mit Günther Oberhollenzer

Mag. Günther Oberhollenzer M. A. ist seit 2022 Künstlerischer Leiter im künstlerhaus Wien. Sein sehr lesenswertes Essay: „Von der Liebe zur Kunst: Warum es unser Leben so bereichert“ ist ein interessantes Buch, das Kunstliebhaber*Innen lesen sollten. Im Interview spricht er über Kunstvermittlung, zeitgenössische Kunst, Museion, Rolle der Kunst und eine Kunstakademie in Südtirol.  

Günther Oberhollenzer, Sie waren jahrelang Kurator der Landesgalerie Niederösterreich. Wie man aus der Internetseite der Galerie unmittelbar erkennen kann, spielt die Kunstvermittlung eine wesentliche Rolle im Angebot dieser Institution.

Ich war fast sieben Jahre Kurator in der Landesgalerie Niederösterreich, dem neuen Kunstmuseum in Krems, aber ich arbeite inzwischen, seit Anfang Oktober 2022, als neuer künstlerischer Leiter im Künstlerhaus Wien. Eine der wichtigsten und dringlichsten liegt auch hier in der Kunstvermittlung. Es obliegt der Verantwortung des Kurators und des Museumsdirektors, diese bereits bei der Ausstellungsplanung als integrativen Bestandteil ins Auge zu fassen. Sie darf nicht erst kurz vor der Eröffnung beginnen und geht weit über klassische Führungen und Infomaterial hinaus. Kunstvermittlung bedeutet eine sensible Heranführung der Menschen an die Kunst, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, Kunstgespräche zu führen, Workshops anzubieten, verständliche Informationen bereitzuhalten. Dabei soll es nicht um Belehrung gehen, sondern um Hilfestellungen, die Augen für das Neue zu öffnen, Barrieren zu überwinden und Vorurteile abzubauen. Kunstvermittlung kann dazu beitragen, erste Türen zur zeitgenössischen Kunst zu öffnen und sie vom Etikett des Elitären und schwer Verständlichen zu befreien.
Ich sehe mich als Künstlerischer Leiter dabei natürlich auch selbst als Kunstvermittler, ich vermittle die Kunst einem neugierigen, interessierten Publikum, ich möchte meine Begeisterung für die Kunst mit den Menschen teilen

Heute hat man den Eindruck, als würde sich die Gesellschaft, selbst die Gebildete, mit der zeitgenössischen Kunst schwertun. Woran liegt das? 

Zeitgenössische Kunst wird oft als schwierig und theorielastig oder auch unnahbar und elitär wahrgenommen. Das ist eine sehr einseitige, vorurteilsbeladene Sicht – eine Sicht allerdings, an der wir Kurator*innen oft nicht ganz unschuldig sind. Ich erlebe den Umgang mit und das Betrachten von zeitgenössischer Kunst oft wie in einem elitären Zirkel, dem nur Kenner*innen und Wissende angehören können – eine kleine, eingeschworene Gruppe, die Kunst einen intellektuellen Überbau und so auch die Aura des Bedeutsamen, des Unantastbaren verleiht, bestehend aus Inhalten, die sich nur für dies kleine Minderheit erschließbar ist. List man z.B. manche Ausstellungstexte oder Katalogessays, beschleicht einem das Gefühl, hier wird nicht den Lesenden Kunst vermittelt, sondern entrückt – weit weg in eine andere Sphäre mit exklusivem Zugang. Wir müssen weg von diesem Elfenbeinturm-Denken. Wie von einer Panoramawarte aus betrachten wir das künstlerische Schaffen, teilen ein, kategorisieren, bewerten und analysieren und das natürlich mit größtmöglicher Distanz und sprachlicher Nüchternheit. Dabei handelt es sich bei der Kunst doch um ein visuelles Medium, das unsere Sinne anspricht und, nachdem es als Bild auf die Netzhaut getroffen ist, sich seinen Weg in unseren Geist, Verstand und ja, auch unser Herz bahnen soll.
Mein Publikum muss nicht aus Kunstexpert*innen bestehen, wohl aber sollten sie Neugierde für die Kunst und Begeisterungsfähigkeit mitbringen, etwas Neues zu entdecken.

Wir haben in Bozen seit 2008 ein prächtiges Museum für zeitgenössische Kunst. Jüngst hat unter anderem auch der Politiker und Kunstkritiker Vittorio Sgarbi sich über das Angebot im Museion kritisch geäußert. Sind sie auch kritisch? 

Vorweg: Vittorio Sgarbi, ein durchaus streitfreudiger Politiker und Kunstkritiker, hat im Zusammenhang mit der Ankündigung, für den Südtiroler Landtag zu kandidieren, betont, das Museion erneuern zu wollen. Er intendiert das als Politiker zu tun und nicht etwa als Museumsmanager oder -kurator. Das empfinde ich als problematisch, da es bedeuten könnte, dass er von außen in die inhaltliche Autonomie des Museums eingreifen möchte. Nun zur Frage: Ich habe im Museion schon spannende Ausstellungsprojekte gesehen, aber ich würde mir bisweilen wünschen, dass in Inhalt und Umsetzung das Publikum kunstvermittlerisch mehr abgeholt wird, dass mehr auf die Bevölkerung zugegangen und auf ihre Alltagsrealität eingegangen wird. Auch würde ich es schön finden, wenn die Themen des Landes (die Kultur, die Sprache, die Landschaft, …) mehr Sichtbarkeit im Museum erlangen könnten – also mehr darauf Acht gegeben wird, wo sich das Museum befindet. Es wäre für die Bevölkerung vor Ort aber auch für Tourist*innen sicher spannend, wenn neben dem Besonderen der Region auch seine Künstler*innenschaft (es gibt hier grandiose Leute!) stärker im Haus präsent wären – natürlich in einem Dialog auf Augenhöhe mit der internationalen Kunstszene.

Sie haben in der Vergangenheit zahlreiche Kunstausstellungen in Südtirol koordiniert. Wie reagiert die Südtiroler Gesellschaft auf ein künstlerisches Angebot, das bestimmte Vorstellungen nicht entspricht?

Ich empfinde es als reizvoll und schön, auch jenseits der großen Kunstmetropolen Ausstellung zu kuratieren. Gerade hier, im kleinstädtischen und ländlichen Bereich treffe ich immer wieder auf ein neugieriges, kunstinteressiertes Publikum. Natürlich, es kann bisweilen auch zu Spannungen oder Reibungen mit der zeitgenössischen Kunst kommen, diese können aber, wenn ein ehrlicher Dialog gesucht wird, befruchtend und bereichernd sein. In einer Stadt wie Wien ist es wunderbar, Ausstellungen umzusetzen, manchmal aber trifft man auch auf ein recht saturiertes Publikum, da es hier einfach so viel an kulturellen Veranstaltungen gibt. Am Land hingegen ist dem nicht so, es gibt oft noch mehr Aufregung, auch Kritik, aber auch leidenschaftlichen Dialog. Und noch eine Anmerkung: ich mache ja meine Ausstellungsprojekte nicht für meine Kurator*innenkollegen, sondern für ein möglichst großes Publikum – auch für jenes, das erst für die Kunst begeistert werden muss…   

Weder in Bozen, noch in Innsbruck und auch nicht in Trient oder Rovereto gibt es eine Hochschule für Bildende Kunst. An der Universität von Bozen wird mittlerweile im Bereich Design gezielt eine Kunstrichtung angeboten.  In Verona gibt es zwar eine Akademie für Bildende Kunst, diese wird hierzulande kaum wahrgenommen. 
Museion in Bozen, Mart in Rovereto, aber keine Akademie? Hat die Region Trentino – Südtirol was verpasst?

Ich kann das schwer beurteilen. Eine Akademie für bildende Kunst wäre grundsätzlich natürlich eine Bereicherung für das Land. Unbestreitbar ist etwa die Tatsache, dass man sich in unserer Region oft noch mit zeitgenössischer Kunst schwertut. Eine Kunstuniversität könnte dem sicher entgegenwirken und auch das kreative Potenzial im Land fördern. Sie ist für mich aber nicht eine Institution, die von der Politik als Prestigeprojekt rasch installiert werden kann und dann ohne weiteres funktioniert. Vielmehr sollte sie eine langsam wachsende, gewachsene Struktur sein, die ihre Zeit, ihre Genese braucht.

In ihrem Essay: „Von der Liebe zur Kunst: Warum es unser Leben so bereichert, sich auf sie einzulassen“, lassen Sie sich unter anderem ganz unvoreingenommen auf die großen Fragen, die Kunst ausmachen, aber auch auf die Zweifel der Kunstinteressierten ein. Wir wollen Ihr Buch unseren Leser-/Innen schmackhaft machen. Kann man Kunst objektiv definieren?

Nein, man kann Kunst nicht objektiv definieren. Unser Bedürfnis, alles zu erklären, dingfest zu machen und zu objektivieren, macht auch vor der Kunst nicht Halt. Kunst ist keine objektive Wissenschaft wie Mathematik oder Physik. In der Kunst gibt es nicht die eine Wahrheit. Man muss sich grundsätzlich von dem Gedanken verabschieden, dass es eine völlige Objektivierbarkeit von Kunst gibt. Natürlich gibt es Richtlinien und Qualitätskriterien für die Bewertung von Kunst. Auch ich habe meine Qualitätskriterien, die ich mit Leidenschaft vertrete und verteidige. Mir muss aber immer bewusst sein, dass diese nicht absolut sind und nicht von allen anerkannt werden. Ich muss darauf vorbereitet sein, dass sie hinterfragt werden, und ich muss bereit sein, sie gegebenenfalls zu revidieren und neu zu verhandeln.
Was wir als Kunst bezeichnen, auch was wir als gelungene Kunst bewerten, ist letztendlich auch immer ein Produkt unserer Zeit, unserer individuellen und soziologischen Prägung (eurozentristisch), einer Sicht, die uns auch sehr viel über uns mitteilen kann, darüber, woher wir kommen und auf welchen Traditionen wir aufbauen. Letztendlich ist es wohl wichtiger, zu fragen und darüber zu reden, als eine klare Antwort zu geben.

Im Bild: Günther Oberhollenzer/c-Tim Cavadini

Giornalista pubblicista, scrittore.