Ethnische und religiöse Minderheiten in den Nachbarländern der Türkei hoffen auf einen Regimewechsel, wie Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), nach einer Reise in die Region berichtet. Besonders für die kurdischen Gebiete Syriens und des Irak könnte ein Machtwechsel das Ende der täglichen Angriffe bedeuten: „Die Menschen leiden dort sehr unter der Gewalt, die von der Türkei ausgeht. Während ich in der Nähe von Amuda in Nordsyrien war, wurde ein kurdischer Bauer auf seinem Feld von türkischen Grenzposten angeschossen – völlig grundlos. Er überlebte nur knapp“, berichtete Sido am heutigen Freitag in Göttingen. „Weiter südlich, bei Tal Hamis, wurde ein Fahrzeug von einer türkischen Drohne angegriffen. Eine junge Kurdin, die bei der autonomen Selbstverwaltung angestellt ist, berichtete, dass ihre beiden kleinen Kinder jedes Mal weinen, wenn sie etwas am Himmel hören. Sie schreien: ‚Mama, Mama, Drohnen am Himmel!‘“. Viele hegten die Hoffnung, dass eine neue Regierung in der Türkei die ständigen Angriffe mit Drohnen und anderen Mitteln auf die Zivilbevölkerung einstellt.
Dr. Sido kam vor wenigen Tagen von einer Reise in die kurdischen Gebiete Nordsyriens und des Irak zurück. „Vor allem dort, wo das Erdbeben Anfang Februar alles zerstört hat, sind die Menschen verzweifelt. Denn die Türkei lässt weiterhin kaum humanitäre Hilfe zu. Nur Waffen für islamistische Milizen kommen ungehindert ins Land“, so Sido. „Wenn diese sunnitisch-islamistischen Gruppen nicht mehr von der Türkei unterstützt würden, könnte sich das Leben aller religiösen Minderheit, der alevitischen, der yezidischen und auch der christlichen, schlagartig verbessern.“
Zu viel Euphorie sei angesichts der Ankündigungen des Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu jedoch unangebracht. Dieser hatte in Interviews direkte Verhandlungen mit der „legitimen Regierung Syriens“, also dem Diktator und Massenmörder Baschar al-Assad angekündigt. Darüber hinaus ist er in der Türkei in ein System eingebunden, das alles Kurdische ablehnt und auf einem türkisch-nationalistischen Kurs beharrt. „Viel wird davon abhängen, welche Politik eine neue Regierung gegenüber der kurdischen und anderen Minderheiten innerhalb und außerhalb der Türkei anstrebt. Und davon, ob Kilicdaroglu den Mut hat, ehrlich über eine friedliche Lösung der Kurdenfrage zu verhandeln“, gibt Sido zu bedenken. „Doch dafür muss die Opposition die Wahlen am 14. Mai erst einmal gewinnen.“
Im Bild: Kemal Kilicdaroglu