Neujahrskonzert 2023 der Wiener Philharmoniker im Zeichen der Musik von Josef Strauß

Jährlich präsentieren die Wiener Philharmoniker zum Jahreswechsel ein heiteres und zugleich besinnliches Programm aus dem reichen Repertoire der Strauß-Dynastie und deren Zeitgenossen. Das Konzert wird mittlerweile in über 90 Länder weltweit übertragen. 
Die internationale Popularität des Neujahrskonzerts erweckt den Eindruck, als ginge die Strauß-Rezeption des Ensembles bis zu Johann Strauß Vater und somit nahtlos bis zum Beginn der Geschichte des Orchesters zurück. Tatsächlich ignorierten die Philharmoniker jedoch lange diese „wienerischste“ Musik, welche je geschrieben wurde: Offensichtlich schien ihnen der soziale Aufstieg, den sie mittels ihrer Philharmonischen Konzerte erfuhren, durch Beziehungen zur „Unterhaltungsmusik“ gefährdet. Diese Einstellung gegenüber der Strauß-Dynastie änderte sich nur allmählich. Ausschlaggebend für das Umdenken waren neben der Tatsache, dass sich die Mitglieder der einzigartigen Komponistenfamilie der höchsten Anerkennung großer Komponisten wie Franz Liszt, Richard Wagner und Johannes Brahms erfreuten, mehrere direkte Begegnungen mit Johann Strauß Sohn. Sie gaben dem Orchester Gelegenheit, die Bedeutung dieser Musik und die ganz Europa bezwingende Persönlichkeit ihres Schöpfers kennen zu lernen.
Das erste Zusammentreffen brachte gleich eine Uraufführung: Für den im Großen Musikvereinssaal abgehaltenen Opernball am 22. April 1873 komponierte Strauß den Walzer „Wiener Blut“ und dirigierte ihn „stilecht“ mit der Geige in der Hand. Am 4. November 1873 brachte Strauß Werke seines Vaters und Josef Lanners sowie den „Donauwalzer“ im Rahmen eines von der chinesischen Weltausstellungs-Kommission veranstalteten Galakonzerts zur Aufführung. Die nächste Begegnung gab es anlässlich einer Soirée in der Hofoper (11. Dezember 1877), bei der Strauß die Uraufführung seiner „Reminiscenzen aus Alt- und Neu-Wien“ dirigierte, eines leider verschollenen Potpourris von Themen aus eigenen bzw. aus Kompositionen seines Vaters. Am 14. Oktober 1894 nahm das Orchester am Festkonzert anlässlich des fünfzigjährigen Berufsjubiläums des Meisters teil, und Strauß bedankte sich mit der Überreichung einer Erinnerungsmedaille und einem Telegramm: „Einstweilen schriftlich heißesten Dank den großen Künstlern den berühmten Philharmonikern sowohl für Ihre Meisterleistung, als auch für die Kundgebung ihrer Sympathie womit Sie die größte Freude bereitet haben Johann Strauss“. Die nächste Begegnung sollte tragische Folgen haben: Am 22. Mai 1899 hatte der Komponist anlässlich einer Aufführung der „Fledermaus“ zum ersten und einzigen Mal in der Hofoper dirigiert. Dabei zog er sich eine Erkältung zu, die in der Folge zu jener Lungenentzündung führte, der er am 3. Juni 1899 erlag.  
Die eigentliche Strauß-Tradition der Wiener Philharmoniker begründete aber jener Künstler, der bis zum heutigen Tag als vielleicht bedeutendster Apologet dieser Musik gilt: Clemens Krauss (1893-1954). Von 1929 bis 1933 dirigierte er bei den Salzburger Festspielen alljährlich ein Strauß-Programm und nahm damit das Neujahrskonzert vorweg.
Der Ursprung dieses Konzerts fällt in den düstersten Abschnitt der Geschichte Österreichs und des Orchesters. Inmitten von Barbarei, Diktatur und Krieg, in einer Phase ständigen Bangens um das Leben einzelner Mitglieder oder deren Angehöriger setzten die Philharmoniker am 31. Dezember 1939 einen ambivalenten Akzent: Der Reinertrag eines der Strauß-Dynastie gewidmeten außerordentlichen Konzerts unter der Leitung von Clemens Krauss wurde zur Gänze der nationalsozialistischen Spendenaktion „Kriegswinterhilfswerk“ gewidmet. 1941 wurde die Philharmonische Akademie „Johann Strauß-Konzert“ am 1. Januar veranstaltet und inmitten des Krieges von vielen Menschen als „echt wienerisches Freudenfest“ verstanden, aber auch von der nationalsozialistischen Propaganda im „Großdeutschen Rundfunk“ vereinnahmt. Clemens Krauss betreute die neugeschaffene Institution bis Kriegsende. In den Jahren 1946 und 1947 stand Josef Krips (1902-1974) am Pult, 1948 kehrte Krauss nach Aufhebung seines zweijährigen Dirigierverbotes durch die Alliierten zurück und leitete bis 1954 sieben weitere Neujahrskonzerte.
Heute fand das Neujahrskonzert unter der Leitung von Maestro Franz Welser-Möst im Wiener Musikverein statt. Franz Welser-Möst verbindet eine besonders enge und produktive künstlerische Partnerschaft mit den Wiener Philharmonikern. Dieser dirigierte heute das prestigeträchtige Konzertereignis nach 2011 und 2013 nun zum dritten Mal das Konzert. 
Heute war das Programm ganz im Zeichen der Musik von Josef Strauß, Johanns Bruder. Johanns Brüder, Josef und Eduard, lebten ihr Leben lang im Schatten der musikalischen Popularität des berühmten Walzerkönigs Johann, waren aber sehr begabte Komponisten und deren Werke verdienen gespielt und gehört zu werden. 
Maestro Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker ermöglichten heute den zahlreichen, Musikliebhaber/-Innen die Strauß-Dynastie neu kennenzulernen. 

PROGRAMM

Eduard StraußWer tanzt mit? Polka schnell, op. 251

Josef Strauß Heldengedichte. Walzer, op. 87

Johann Strauß II. Zigeunerbaron-Quadrille, op. 422 

Carl Michael Ziehrer In lauschiger Nacht. Walzer, op. 488

Johann Strauß II. Frisch heran! Polka schnell, op. 386

Franz von Suppè Ouvertüre zur Operette „Isabella“

Josef Strauß Perlen der Liebe. Walzer, op. 39

Josef Strauß Angelica-Polka. Polka française, op. 123

Eduard Strauß Auf und davon. Polka schnell, op. 73

Josef Strauß Heiterer Muth. Polka française, op. 281

Josef Strauß For ever. Polka schnell, op. 193

Josef Strauß Zeisserln. Walzer, op. 114

Josef Hellmesberger (Sohn)Glocken-Polka mit Galopp aus dem Ballett Excelsior

Josef Strauß Allegro fantastique. Orchesterfantasie, Anh. 26b

Josef Strauß Aquarellen. Walzer, op. 258

Im Bild: Neujahrskonzert 2013 mit Franz Welser-Möst/© Terry Linke