Ausstellung „Franz Kafka. Der ganze Prozess“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin.
Von Claudia von Dzerzawa
Rauschhafte Schreibzustände, völliges Eintauchen in den Stoff – so hautnah wie noch nie kann man jetzt Franz Kafkas Arbeit an „Der Prozess“ in einer Ausstellung sehen. Das Originalmanuskript des berühmten Romans ist erstmals als gesamtes Werk zu sehen.
Josef K. steht vor Gericht. Er ist sich keiner Schuld bewusst, er erfährt auch den Grund der Anklage nicht, und am Ende steht die Hinrichtung. 1925 wird Franz Kafkas Roman posthum veröffentlicht. Und als der ganze „Prozess“ ist das ganze Manuskript im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen.
Das ist eine bisher einmalige Gelegenheit in dieser Form für die Öffentlichkeit.
Es ist einer der einflussreichsten Romane der Weltliteratur, vielleicht einer der fünf einflussreichsten. Und nicht nur jetzt auf Literatur bezogen, sondern Theaterleute haben sich davon inspirieren lassen, Kinoleute und so weiter. Aber dann auch die Schönheit dieses Manuskripts.
Ich weiß nicht, ob Sie die Handschrift schon mal gesehen haben? Sie ist sehr schön und auch sehr gut lesbar, was für Schriftsteller ja nicht selbstverständlich ist – manche können ihre eigene Schrift nicht mehr lesen.
Dann vor allem kann man sehen, wie Kafka gearbeitet hat. Das ist sehr ungewöhnlich. Viele Autoren arbeiten ja so, dass im Kopf eigentlich schon alles fertig ist, wenn sie zu schreiben beginnen, und dann ist das Manuskript eigentlich nicht so interessant.
Aber wenn jetzt jemand so spontan gearbeitet hat wie Kafka, dann kann man die Sofortkorrekturen sehen. Man kann sehen, wie er zurückschreckt vor einem Einfall und ihn durchstreicht. Man kann auch sehen an dem Manuskript, wie er sich selbst erregt bei bestimmten Szenen, mit denen er sich sehr stark identifiziert hat.
Auf der letzten Seite ist ja eine ganz schreckliche Szene, die Hinrichtung. Und da schreibt er plötzlich „ich“ statt „er“. Das ist unglaublich. Das ist ein handwerklicher Fehler größten Ausmaßes, würde man bei einem durchschnittlichen Autor sagen, in einem Roman, der in Er-Form geschrieben ist, hat das Wort „ich“ nichts zu suchen, und das unterlief gerade Kafka.
Man muss natürlich sich schon ein bisschen Zeit nehmen, um auch etwas zu lesen, das ist ja klar. Das ist unvermeidlich. Es sei denn, man hat einen Führer dabei, der einen auf bestimmte Stellen dann explizit hinweist.
Je mehr man weiß, das muss ich zugeben, je mehr man über Kafka weiß, desto mehr sieht man, was in diesen Blättern passiert ist, was in diesem Arbeitsprozess genau passiert ist, das ist klar. Ein bisschen Anleitung wäre natürlich dann schon ganz gut.
Wir erfahren eine Menge über den Schriftsteller Kafka, wenn wir uns dieses Manuskript anschauen, aber was erfahren wir über den Menschen Franz?
Wie ich schon anfangs erwähne, man sieht schon, dass er sich sehr identifiziert hat mit der Story, die er beschreibt. Das sieht man an den Fehlleistungen, man sieht es auch an der Schrift. Manchmal wird die Schrift dann hektisch, wenn er sich sehr erregt.
Es passiert ihm, dass er aus Versehen „F.K.“ schreibt, seinen eigenen Namen. Also statt „F.B.“, das ist die Fräulein Bürstner, schreibt er mehrmals aus Versehen „F.K.“. Und da sieht man wirklich, in seinem Kopf ist das alles völlig real. Das ist wie ein sehr intensiver Tagtraum.
Max Brod hat ja das Manuskript gerettet. Er hat es sogar zweimal gerettet. Einmal wollte ja Kafka, dass alles verbrannt wird, was sich in seinem Nachlass an unfertigen Werken befindet. Dann hat es Max Brod vor den Nazis gerettet, 1933. Dann hat er allerdings den Fehler gemacht, er hat es den falschen Erben sozusagen vermacht.
Und seine Erbin hatte nichts Besseres zu tun, als es nicht etwa an ein Archiv zu geben, sondern sie hat es auf eine Auktion gegeben und hat damit eben in Kauf genommen, dass es in Privatbesitz kommt. Das wäre ja auch beinahe passiert, wenn nicht diese Aktion gestartet worden wäre, die Sie eben angeführt haben, dass eben mehrere Institutionen und auch noch private Spender sich zusammengetan haben, um dieses Manuskript zu retten davor, dass es eben in irgendeinem privaten Tresor verschwindet. Da haben wir großes Glück gehabt. Das ist mit anderen Kafka-Manuskripten ebenso nicht geglückt.
Quelle: https://claudia2902.wordpress.com/2017/07/02/kafka-ausstellung-in-berlin-einblicke-in-den-kopf-eines-autors-der-ganze-prozess/
Im Bild: Franz Kafka