Hilft das Islam-Studium gegen Fundamentalismus?

In Deutschland gibt es derzeit insgesamt vier Standorte, die ein Zentrum für Islamische Studien haben. Am Zentrum für Islamische Studien wird der Islam aus einer Binnenperspektive betrachtet, also von Muslimen studiert. Dies ist eine neue Entwicklung in Deutschland, denn bei der Islamwissenschaft, die schon länger an deutschen Universitäten etabliert ist, wird der Islam aus einer Außenperspektive untersucht. Am Zentrum für Islamische Studien sollen künftig Religionslehrerinnen und Religionslehrer sowie Religionsgelehrte für Moscheen ausgebildet werden. Islamische Theologie heißt ja: Kritisch denken, die Tradition reflektieren, in ihrer Diversität rezipieren und weiterdenken. Das ist nun alles andere als ein Merkmal von Fundamentalismus. Ich denke, indem wir als theologische Studien in einem wissenschaftlichen Kontext diese Reflexionsfähigkeit des Islams den Studenten erschließen, eröffnen wir ihnen eine Möglichkeit, auch selbst Antworten auf verengenden Sichtweisen zu finden und diese, so ist dann die Hoffnung, in die Gemeindearbeit wieder mit einzubringen. Jeder zwanzigste Mensch in der Schweiz allerdings ist muslimisch, so die nzz. Man darf zwar davon ausgehen, dass die Säkularisierungswelle, welche die christlichen Kirchen mit voller Wucht trifft, auch an den muslimischen Gemeinschaften hier nicht spurlos vorbeigehen wird. Geschätzte zwei Drittel der Muslime besuchen bereits heute praktisch nie eine Moschee, die Zahl der Distanzierten wird wohl weiter steigen. Doch diejenigen, die ihren Glauben weiterhin praktizieren, brauchen Seelsorger. Und für albanische, türkische oder bosnische Secondos, die eine schweizerische Landessprache teilweise besser beherrschen als ihre Muttersprache, ist es wichtig, dass diese Bezugsperson sie versteht, und das nicht nur sprachlich. Es ist deshalb legitim, wenn muslimische Verbände sich hier ausgebildete Imame wünschen.

Dabei stellt sich mir hier die Frage, welche Rolle der Staat bei der Ausbildung der Imame spielen soll. Zu unterscheiden ist zwischen der theoretischen und der praktischen Ausbildung. Das Theologiestudium lässt sich auch im Ausland absolvieren oder durch die islamische Gemeinschaft im Inland selber organisieren. Man könnte argumentieren, dass dieser Kraftakt den evangelikalen Freikirchen mit halb so vielen Mitgliedern auch gelingt. Doch ihr Organisationsgrad ist aufgrund der längeren Tradition höher als bei den Schweizer Muslimen. Und auch wenn ihre theologischen Werte teilweise mit einer aufgeklärt-säkularen Weltsicht kollidieren, ein Beispiel ist die ausgeprägte Homophobie, stellen die Freikirchlichen für die Gesellschaft keine Gefahr dar. Fundamentalistisch motivierte Anschläge auf Abtreibungsärzte etwa gibt es in der Schweiz nicht. Bei den Muslimen hingegen besteht das Risiko einer Radikalisierung. Anerkennung brauchen können.

Gerade deshalb sollte der Staat ein Studium der islamischen Theologie an einer hiesigen Fakultät finanzieren, so wie das für die Landeskirchen selbstverständlich ist. Dies weniger, weil Muslime dem Staat genauso allgemeine Steuern abliefern wie Reformierte und Katholiken und deshalb ebenso Anspruch auf öffentliche Leistungen haben sollten, sondern vielmehr, weil die Einbettung in ein wissenschaftliches Umfeld eine kritische Auseinandersetzung mit dem Glauben garantiert und fundamentalistischen Ausprägungen entgegenwirkt. Davon profitiert die Gesellschaft. Denn ein gesicherter Religionsfrieden und eine bessere Integration der Muslime wiegen die Investitionen bei weitem auf.
Ein erster Schritt ist mit der Gründung des „Zentrums Islam und Gesellschaft“ an der Universität Freiburg getan. Dass die SVP dagegen Fundamentalopposition betreibt, obwohl das Zentrum gar keine Imam-Ausbildung anbietet, ist entlarvend. Der Partei ist offenbar wenig an einer lösungsorientierten Politik gelegen, viel lieber bedient sie islamophobe Reflexe. Das nützt auf muslimischer Seite nur dem fundamentalistischen Zentralrat, der eine kleine, aber laute Minderheit vertritt, und dank den Angriffen von rechts die Muslime generell als Opfer von Ausgrenzung inszenieren kann. Die gemäßigte Mehrheit der Muslime droht zwischen diesen beiden Extremen aufgerieben zu werden.
Für die Muslime bedeutet dies, dass sie Strukturen aufbauen müssen, die eine praktische Ausbildung ermöglichen, ähnlich wie die katholischen Priesterseminare. Dabei würde es den Gemeinschaften helfen, wenn sie dank einer staatlichen Anerkennung bei den Gläubigen Steuern einziehen könnten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Im Bild: Der Koran