Immer öfter wird in Deutschland der Dissertation eines Prominenten unterstellt, sie sei ein Plagiat. Hinter der Debatte stehen wichtige Werte unserer bürgerlichen Gesellschaft.
Wie redlich und seriös, gewissenhaft und akribisch ist der geisteswissenschaftliche Betrieb in Deutschland, beweist er neuerdings vor allem bei den Überprüfungen jener Doktorarbeiten, denen mangelnde Redlichkeit und Seriosität, Gewissenhaftigkeit und Akribie unterstellt werde. Funktioniert der Apparat nur noch als Reparaturbetrieb? Auf dem Nährboden der Plagiate scheint besonders gut die Debattenkultur zu gedeihen.
Dabei zeigt sich, dass es keine verbindlichen Maßstäbe dafür gibt, was genau unter unsauberem Arbeiten zu verstehen ist, was also gerade noch eine Bagatelle oder doch schon ein Plagiat sein könnte.
Denkt also die Wissenschaft jetzt über neue Regeln nach? Die Qualitätssicherung steht auf dem Spiel. Warum aber beschäftigt uns ein möglicher Fußnotenschwindel uns so sehr weit über die Grenzen eines nur wissenschaftlichen Interesses hinaus? Möglicherweise, weil im Doktortitel Grundwerte unserer Gesellschaft hinterlegt sind. Der Adelstitel in der feudalistischen Gesellschaft war verknüpft mit der Herkunft, nicht mit Klugheit. Der Doktortitel ist sein genaues Gegenstück: Bei ihm ist es allein das geistige Vermögen, das zählt. Zugleich wird beim Erwerb des Doktortitels eine Geste der Bescheidenheit sichtbar. Man promoviert nicht, sondern wird promoviert.
Wenn ein Doktortitel wegen Plagiats aberkannt wird, steht auch die Qualität der Betreuer und Gutachter infrage. Nicht alle Doktorväter haben dieselbe Qualifikation.
Geht in einer Doktorarbeit etwas schief, sind auch die betreuenden Professoren schuld. Diese These vertrete ich. Über die Güte einer Doktorarbeit entscheidet immer der jeweilige Fachbereich, und zwar nach Vorschlag von zwei Gutachtern. Das Fehlverhalten von Doktorvätern muss ebenso geahndet werden wie Regelverstöße von Doktoranden. Es gelten auch Regeln für die Promotion, die zu den strengsten in Europa gehören. So unterliegen alle Doktorarbeiten dem Publikationszwang: Wer seine Arbeit noch nicht veröffentlicht hat, darf den Titel nicht führen. Wer die Publikationsfrist versäumt, verliert die Doktorwürde.
Die Last der Verantwortung für die Arbeit kann und darf dabei nicht nur bei den Doktoranden liegen. Dem Betreuer kommt eine besondere Rolle im Rahmen der Promotion zu. Aus dem Promotionsrecht leiten sich Pflichten und Verantwortlichkeiten ab. Zu diesen gehört die Aufgabe, dem Doktoranden wissenschaftliche Standards und wissenschaftliche Praxis zu vermitteln, den Weg in die Wissenschaft verantwortlich zu weisen und stets Vorbild zu sein. Fehlverhalten in dieser Verantwortung muss mit gleicher Strenge behandelt werden wie Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis seitens der Doktoranden. Wer den Pflichten als Betreuer nicht nachkommt, sollte auf Zeit oder dauerhaft das Promotionsrecht verlieren.
Dies würde ein deutliches Signal für Promotionen in Deutschland aussenden.